Interview mit Cantourage Group SE
Interview mit Cannabis-Händler Cantourage: „Können in jedem Rechtsrahmen dynamisch wachsen“
Lesezeit: ca. 9 Min. | Interview geführt von Nico Popp am 23.08.2023 in Berlin (DE).

Philip Schetter
CEO |
Cantourage Group SE
Feurigstraße 54,
10827 Berlin (DE)
info@cantourage.com
Inhaltsverzeichnis:
Geschäftsmodell und Alleinstellungsmerkmale
kapitalerhoehungen.de: "Cannabis ist bereits seit einigen Jahren auch in Deutschland als Arznei anerkannt. Neben Schmerzpatienten, nutzen inzwischen auch Menschen mit Parkinson, chronisch entzündlichen Erkrankungen oder auch psychischen Leiden unter ärztlicher Aufsicht Cannabisblüten. Cantourage importiert Cannabis, stellt daraus in Deutschland Medizinprodukte her und vertreibt diese an Großhändler oder direkt an Apotheken. Beschreiben Sie die Rolle von Cantourage auf dem deutschen Markt für medizinisches Cannabis!"

"[...] Wir sind Arzneimittelhersteller und -händler und decken damit einen - insbesondere in der Cannabis-Industrie - sehr wichtigen Schritt in der Wertschöpfungskette ab. [...]" Philip Schetter, CEO, Cantourage Group SE
Cantourage importiert Cannabis von Anbauern aus der gesamten Welt. Wir stellen daraus in Deutschland medizinische Produkte her und vertreiben diese in Europa. Die Vielzahl unserer Mitbewerber hat sich lediglich auf den Vertrieb von Blüten spezialisiert. Wir sind Arzneimittelhersteller und -händler und decken damit einen - insbesondere in der Cannabis-Industrie - sehr wichtigen Schritt in der Wertschöpfungskette ab. Dadurch können wir auch ein anderes Produkt-Portfolio als unsere Mitbewerber im Bereich der Cannabisblüten darstellen.
Wir haben mehr als sechzig Anbaupartner aus achtzehn Ländern. Dieses breite Produktportfolio deckt verschiedene Patientenbedürfnisse ab. Man muss im Zusammenhang mit der Cannabis-Therapie wissen, dass das Zusammenspiel von verschiedenen Wirkstoffen innerhalb der Blüte individuelle Effekte bei Patienten hat. Wir decken ein sehr, sehr breites Spektrum ab und haben neben preiswerten Präparaten auch Cannabisblüten im Angebot, die als besonders hochwertig wahrgenommen werden, da besondere Anbautechniken verwendet werden, die zu besonderen Blüten mit besonderem Wirkprofil führen. Damit werden wir der vielschichtigen Nachfrage nach Cannabis-Produkten gerecht. Das ist in Europa einzigartig.
Weltmarkt für Cannabis
kapitalerhoehungen.de: "Warum importieren Sie Cannabis überhaupt? Wächst die Pflanze nicht sehr schnell und ortsunabhängig?"
Ich war schon vor meinem Engagement als CEO von Cantourage bei einem großen Cannabis-Unternehmen tätig. Damals gelang es uns, eine Ausschreibung der Bundesregierung für die Herstellung von Cannabis in Deutschland zu gewinnen. Aus dieser Erfahrung weiß ich, wie groß die regulatorischen Hürden in Deutschland sind. Hinzu kommt der Energiebedarf, der entsteht, wenn man Cannabis im Rahmen dieser regulatorischen Anforderungen „indoor“ anbaut – es braucht u. a. künstliches Licht sowie Kühl- und Entfeuchtungsanlagen. Andere Länder bringen einfach bessere Voraussetzungen für den Anbau mit. Auch gibt es in einigen dieser Länder, wie etwa in Kanada, bereits weitreichende Erfahrung im Anbau von Cannabis, was mitunter dann zu besseren Produkten und Erträgen führen kann. Der Import von Cannabis wirkt sich also positiv auf Kosten und Qualität aus und ist daher für Cantourage die beste Option.
Ende des „Betäubungsmittel-Status“ als Startschuss?
kapitalerhoehungen.de: "Dank digitaler Medizin-Dienstleister sind die Hürden für den Zugang zu medizinischem Cannabis gesunken. Jetzt soll Cannabis schon bald nicht mehr als Betäubungsmittel gelten, was Verschreibung und Nutzung vereinfachen dürfte. Sorgt das aus Ihrer Sicht für eine wachsende Nachfrage nach medizinischem Cannabis?"

"[...] Nachdem Cannabis bislang regulatorisch in einem Atemzug mit starken Schmerzmitteln auf Opium-Basis genannt wurde, könnte es schon bald rechtlich mit Ibuprofen 600 gleichgestellt sein. Dieses Präparat verschreiben Ärzte und es wird täglich in Apotheken auf Rezept abgegeben. [...]" Philip Schetter, CEO, Cantourage Group SE
Vor 2017 war Cannabis in Deutschland nur mit Ausnahmegenehmigung zu bekommen. Damals gab es nur einige hundert Patienten deutschlandweit. Nach 2017 war es schwierig für Patienten, überhaupt einen Arzt zu finden, der Cannabis verschreibt, obwohl die Hürden dafür deutlich gesunken waren. Grundsätzlich kann Cannabis bei vielen Indikationen verschrieben werden. In der Praxis hat der Status als Betäubungsmittel jedoch dafür gesorgt, dass viele Ärzte und Apotheker - auch wegen einer besonderen Dokumentationspflicht – skeptisch geblieben sind. Abhilfe haben inzwischen aber digitale Anbieter geschaffen, die Cannabis-Therapie via Telemedizin anbieten. Der Arzt beurteilt dabei die Indikation, sucht geeignete Präparate aus und verschreibt sie. Digitale Prozesse machen das komplexe Verfahren für alle Beteiligten so einfach wie möglich. Aus diesem Grund ist es schon heute für Patienten mit Vorerkrankungen leicht möglich, eine Cannabis-Therapie zu beginnen.
Wir gehen davon aus, dass der Wegfall des Status als Betäubungsmittel dennoch zusätzliche Wachstumseffekte auslösen wird. Erstens ist Cannabis medial präsent und zweitens dürften jetzt auch mehr Hausärzte eine Therapie in Erwägung ziehen und ihren Patienten Cannabis vorschlagen. Nachdem Cannabis bislang regulatorisch in einem Atemzug mit starken Schmerzmitteln auf Opium-Basis genannt wurde, könnte es schon bald rechtlich mit Ibuprofen 600 gleichgestellt sein. Dieses Präparat verschreiben Ärzte und es wird täglich in Apotheken auf Rezept abgegeben. Da Cannabis vielen Patienten bei unterschiedlichen Indikationen hilft, dürften es nach dem Ende des Status als Betäubungsmittel mehr Patienten ausprobieren. Das war in der Vergangenheit auch auf anderen inzwischen liberalisierten Märkten, wie etwa in Kanada, so.
Wege zum begehrten Cannabis-Rezept
kapitalerhoehungen.de: "Werden Telemedizin-Angebote jetzt obsolet?"
Grundsätzlich kann jeder Humanmediziner, der kein Zahnarzt ist, Cannabis verschreiben. Viele Mediziner kennen sich mit den Präparaten aber noch nicht so gut aus. Wenn Telemedizin-Angebote mit qualifizierten Ärzten arbeiten, die Patienten gründlich beraten und geeignete Produkte auswählen, bietet das einen Mehrwert. Hinzu kommt das Argument, das unabhängig von Cannabis für Telemedizin spricht: Sie ist einfach unkompliziert. Von daher hat Telemedizin rund um Cannabis auch weiter ihre Berechtigung. Wir selbst betreiben in Großbritannien ein vergleichbares Angebot und behalten den Markt auch in Deutschland im Auge.
- Markt – Auf einem Markt treffen Angebot und Nachfrage aufeinander.
Folgen der Liberalisierungs-Pläne
kapitalerhoehungen.de: "Auch die Pläne der Bundesregierung für eine Liberalisierung des Freizeit-Konsums schreiten voran. Wenn künftig jeder Bürger über 18 Jahren drei Cannabis-Pflanzen selbst anbauen darf, schadet das nicht Ihrem Geschäftsmodell und kannibalisiert auch die Umsätze im Bereich des medizinischen Cannabis?"

"[...] An diesem Punkt beobachten wir die weiteren Entwicklungen ganz genau. Es hängt von den konkreten Rahmenbedingungen ab, ob sich ein Engagement in Modellregionen lohnt oder nicht. Wir werden den Fehler, den kanadische Unternehmen vor einigen Jahren gemacht haben, nicht wiederholen. Wachstum um jeden Preis wird es mit uns nicht geben. [...]" Philip Schetter, CEO, Cantourage Group SE
Die aktuellen Pläne der Bundesregierung sehen eher eine Legalisierung in mehreren Schritten vor. Neben dem Eigenanbau, der kein Selbstläufer ist, soll es Social Clubs geben, in denen Cannabis für alle Vereinsmitglieder angebaut werden darf. Die Zahl der Mitglieder in diesen Clubs ist begrenzt. Eine Produktion im großen Stil, die kostengünstig ist, kommt so nicht in Frage. Hinzu kommt, dass es komplex wird, zahlreiche Sorten anzubauen, auf die Cannabis-Patienten oftmals angewiesen sind. Weiterhin sollen in Modellregionen spezialisierte Abgabestellen für die Dauer von fünf Jahren Cannabis verkaufen dürften. An diesem Punkt beobachten wir die weiteren Entwicklungen ganz genau. Es hängt von den konkreten Rahmenbedingungen ab, ob sich ein Engagement in Modellregionen lohnt oder nicht. Wir werden den Fehler, den kanadische Unternehmen vor einigen Jahren gemacht haben, nicht wiederholen. Wachstum um jeden Preis wird es mit uns nicht geben. Wir gehen davon aus, dass wir mit unserer qualitativ hochwertigen und zugleich preiswerten Ware auch in Zukunft eine starke Position haben.
Qualität entscheidet
kapitalerhoehungen.de: "Stichwort Qualität: Wie unterscheiden sich Ihre Produkte von Cannabis aus dem Eigenanbau?"
Cannabis ist eine komplexe Pflanze, die auf Seiten der Züchter und Produzenten ein hohes Maß an Expertise und Leidenschaft erfordert. Wer bei den Pflanzen auf der heimischen Fensterbank kein sehr gutes Händchen hat, der wird auch kein hochwertiges Cannabis anbauen können. Unsere Produkte werden im Labor untersucht, wir weisen die exakte Wirkstoff-Konzentration aus und halten etwa sehr geringe Grenzwerte bei Schimmel oder Düngemittelrückständen ein. So entsteht eine medizinische Ware, die in Kombination mit dem schadstoffarmen Verdampfen wenig Nebenwirkungen hat.
Wettlauf um Modellregionen?
kapitalerhoehungen.de: "Noch einmal zu den geplanten Modellregionen. Sind Sie nicht gezwungen, sich dort zu positionieren, weil es sonst die Konkurrenz tut?"
Wir müssen die exakten regulatorischen Rahmenbedingungen abwarten. Wenn, wie bei vergleichbaren Modellregionen in anderen Ländern, die gesamte Wertschöpfungskette innerhalb der Modellregion liegen muss, schwinden die Chancen für ein profitables Geschäft deutlich. Ich glaube nicht, dass die Branche in Goldgräberstimmung verfällt und sich vorschnell auf Modellregionen stürzt. Zwar ist auch für uns ein Engagement nicht ausgeschlossen, es kommt aber auf die Rahmenbedingungen an. Wir wünschen uns einen Regulierungsrahmen, der Patienten und Nutzern zugutekommt und Unternehmen wie Cantourage klare Rahmenbedingungen setzt. Cannabis muss auch nach einer vollständigen Legalisierung ein reguliertes Produkt bleiben. Würde die vollständige Legalisierung morgen eintreten, wären wir dank unserer Geschäftsbeziehungen und breiten Produktpalette perfekt positioniert, um davon zu profitieren. Wir können daher abwarten, wie die künftige Gesetzgebung aussieht und daraus die besten Schlüsse ziehen.
Wachstumstreiber für die Zukunft
kapitalerhoehungen.de: "Sie erwarten 2023 zweistellig wachsende Umsätze. Können Sie skizzieren, was genau die Wachstumstreiber für Ihr Geschäft sind?"

"[...] Das große Angebot und unsere Innovationen sorgen dafür, dass wir auf Märkten, die ohnehin wachsen, überproportional zulegen können. [...]" Philip Schetter, CEO, Cantourage Group SE
Auch wenn wir bereits gut aufgestellt sind und eine breite Palette an Cannabis-Produkten bieten, bringen unsere Anbau-Partner kontinuierlich neue Sorten auf den Markt. Viele Verträge haben wir bereits unterschrieben und nehmen die Produkte Schritt für Schritt in unser Portfolio auf. Da Patienten Präparate von Zeit zu Zeit wechseln, erhalten Innovationen immer sofort Aufmerksamkeit durch Cannabis-Nutzer. Das große Angebot und unsere Innovationen sorgen dafür, dass wir auf Märkten, die ohnehin wachsen, überproportional zulegen können. Das gilt etwa für Deutschland und Großbritannien. Auch ist Wachstum innerhalb Europas für uns wichtig. Erst kürzlich haben wir einen wichtigen Schritt nach Österreich gemacht, wo wir unsere Dronabinol-Lösung anbieten können.
- Markt – Auf einem Markt treffen Angebot und Nachfrage aufeinander.
Finanzierung
kapitalerhoehungen.de: "Sie können sich vorstellen, neues Kapital aufzunehmen. Können Sie schon verraten, in welchen Bereichen Sie investieren wollen?"

"[...] Der Kontakt zwischen Patienten und Medizinern spielt noch immer die entscheidende Rolle, wenn es darum geht, eine Cannabis-Therapie überhaupt zu beginnen. Hier sehen wir perspektivisch eine Ergänzung zu unserem bestehenden Angebot. [...]" Philip Schetter, CEO, Cantourage Group SE
Wir prüfen in der Tat Optionen, unsere Wertschöpfungskette auszubauen oder zu vertiefen. Der Kontakt zwischen Patienten und Medizinern spielt noch immer die entscheidende Rolle, wenn es darum geht, eine Cannabis-Therapie überhaupt zu beginnen. Hier sehen wir perspektivisch eine Ergänzung zu unserem bestehenden Angebot. Darüber hinaus steigt auch bei wachsendem Geschäft der Bedarf an Working Capital. Wir versprechen uns davon eine noch bessere Marktstellung, um schneller auf gewisse Anforderungen reagieren zu können – etwa, wenn auf dem Markt Knappheit herrscht oder die Nachfrage stark steigt. Die Kapitalmaßnahme wird einen höheren einstelligen Millionenbetrag nicht übersteigen. Wir wollen auch in Zukunft auf schlanke Strukturen setzen.
- Markt – Auf einem Markt treffen Angebot und Nachfrage aufeinander.
Cantourage – die europäische Cannabis-Aktie?
kapitalerhoehungen.de: "Gibt es Pläne, im Zuge einer Kapitalerhöhung Ihre Eigentümerstruktur zu verändern? Aktuell ist der Streubesitz vergleichsweise gering..."
Ja. Wir wünschen uns auch mehr Liquidität in der Aktie. Der Großteil der Aktien liegt noch immer in den Händen des Managements oder von wichtigen Anker-Aktionären. Wir alle sind der Meinung, dass die Aktie ihr Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft hat und bleiben daher weiter engagiert an Bord. Wir sind uns aber auch darüber im Klaren, dass Cantourage in Zukunft mehr Aktionäre braucht. Cantourage ist ein Wachstums-Unternehmen mit geringen Kosten und einer guten Marktstellung – unser Umsatzwachstum im hohen zweistelligen Bereich zeigt das ganz klar. Hinzu kommt das Potenzial des Cannabis-Marktes. Wie groß dieser Markt in der Illegalität aktuell ist, kann niemand genau beziffern. Hinzu kommt der wissenschaftlich belegte medizinische Nutzen bei verschiedenen Krankheitsbildern. Diese Gemengelage ist aus unserer Sicht dazu geeignet, für eine positive Überraschung zu sorgen und den legalen Markt im Zuge der fortschreitenden Liberalisierung schnell wachsen zu lassen. Cantourage ist perfekt positioniert, um davon zu profitieren.
kapitalerhoehungen.de: "Vielen Dank für das Gespräch."